Ich war mit meinem Sohn in Manchester, um mir das Fußballspiel Machester City gegen Tottenham anzusehen. Seit Jahren ist er Fan und es war der Moment gekommen, die Mannschaft ein Mal live im eigenen Stadion zu bejubeln. Drei Stunden vor unserem Abflug aus Berlin kam die Nachricht, dass die Premier League alle Fußballspiele für dieses Wochenende abgesagt hat, zu Ehren der Queen, die am Tag zuvor verstorben war.
Flug und Hotel konnten wir nicht mehr stornieren. Die Enttäuschung war immens. Wir sind dennoch gefahren. Wir haben mit vielen Menschen geredet, die unfassbar freundlich waren, und keine*r, den wir getroffen haben, konnte diese Entscheidung wirklich verstehen oder fand diese Entscheidung richtig.
Am eindrücklichsten war für mich ein Verkäufer im Fred Perry Store, der meinen Sohn auf sein Manchester Shirt ansprach und uns fragte, was wir davon hielten, dass die Spiele abgesagt waren. Mein Sohn sagte ihm, er verstehe nicht, warum nur Fußball abgesagt wird und nicht alle anderen Sportarten, die dieses Wochenende ausgetragen würden ebenfalls. Er hätte es besser akzeptieren können, wenn alle Sportarten abgesagt worden wären. Abgesehen davon, hätte er eine Schweigeminute wirkungsvoller gefunden, als das Spiel abzusagen.
Ich fand, neben aller Enttäuschung, dass die Queen für mich doch Werte verkörpert hat, für die sich einen Moment innezuhalten, vielleicht lohnen. Ob ich diese Werte positiv oder negativ finde, wollte ein anderer Mitarbeiter wissen. Positiv sagte ich. Fühlte mich aber nicht wohl damit und korrigierte mich. Ich fände sie nicht positiv oder negativ, ich finde sie wichtig. Der Mitarbeiter selbst verstand es gar nicht, dass zu Ehren einer Queen, deren Krone allein zigtausende von Euro kostet, alle Fußballspiele abgesagt würden, wenn es so viele Menschen gibt, die die ganze Woche über arbeiten, um sich am Wochenende ein Fußballspiel anzusehen. Die Monarchie und was von ihr ausgehe, hätte für die meisten hier keine Bedeutung. Er empfand die Auswirkung, die diese Entscheidungen auf sein Leben hatte, als ärgerlich. Wir verabschiedeten uns herzlich.
Da war es wieder, das „wir“ und „die anderen“ und ich war nicht schnell genug, um in Worte zu fassen, was ich sagen wollte.
Das Besondere an der Queen für mich war, dass sie sich hingegeben hat, um zu dienen. Das besondere an der Queen für mich war, wie sie gedient hat. Sie hat das Königshaus repräsentiert, ja. Vor allem aber hat sie präsentiert, nicht sich selbst in den Vordergrund zu stellen, sondern einer Sache zu dienen. Sie hat Werte verkörpert, die stärker sind, als das, was uns unterscheidet. Werte, die die Kraft haben die Schichten zwischen uns abzubauen und uns in unserer Menschlichkeit zu sehen. (Ob wir Monarchien brauchen, ob Monarchien durch die Kolonialisierung weiter Mitschuld daran tragen, ungerechte Strukturen zu zementieren etc., sind Themen, die ebenso wichtig sind anzusprechen, nur hier nicht das, worum es geht.)
Die Entscheidung, „zu Ehren ihres außergewöhnlichen Lebens und Beitrages für die Nation und als Zeichen des Respekts, alle Fußballspiele an diesem Wochenende zu verschieben“ (Premier League), hat gezeigt, dass zu wenig Aufmerksamkeit, zu wenig Verständnis, zu wenig Bewusstsein für die unterschiedlichen Lebensrealitäten da ist. Diejenigen, die solche Entscheidungen treffen, weil sie das Privileg und die Macht haben, sollten sich darüber bewusst sein, was diese Entscheidung für die Nation bedeutet. Sie sollten Worte finden, durch die sich alle als ein Teil dieser Nation fühlen, weil sie gesehen und gehört sind. Die Verteilung des Geldes und die Strukturen des Systems sind zu ungerecht, als dass sich Ungerechtigkeit sonst immer wiederholt.